Veranstaltung: | Wahlprogramm 2021: Strafverfolgung |
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Antragsteller*in: | Schreibgruppe (dort beschlossen am: 17.07.2020) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 20.07.2020, 11:43 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A1NEU2: Wahlprogramm 2021: Strafverfolgung
Text
Strafverfolgung
Maßnahme 2026: Präventionsarbeit ausbauen
Neben der Arbeit von Justiz und Polizei ist die Prävention von Straftaten ein
essentieller Baustein der Verbrechensbekämpfung. Gelungene Präventionsarbeit und
die Resozialisierung straffällig gewordener Menschen schützen die Bevölkerung am
effektivsten. Erfolgreiche Präventionsprojekte sind dauerhaft zu verstetigen und
die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter*innen zu verbessern.
Maßnahme 2026: Schwerpunkte in der Strafverfolgung setzen
Die Verfolgung von Hasskriminalität, Straftaten gegen Frauen und
demokratiefeindlichen Straftaten von Umwelt- und Cyberkriminalität sind weiter
zu stärken. Es ist zu prüfen, wie Kompetenzen im LKA und bei der
Staatsanwaltschaft besser gebündelt werden können.
Ein besonderer Fokus ist auf die Verfolgung von organisierter Kriminalität zu
legen. Dabei hat sich gerade die Vermögenseinziehung bei organisierter
Kriminalität als sehr erfolgreich erwiesen und ist daher fortzuentwickeln.
Gleichwohl ist für uns bewusst, dass Strafrecht stets die letzte Möglichkeit und
restriktiv einzusetzen ist, da durch den Einsatz des Strafrechts viel Schaden
angerichtet werden kann, insbesondere durch eine Inhaftierung. Strafrecht ist
ultima ratio. Vor diesem Hintergrund muss ebenfalls die Möglichkeit der
Entkriminalisierung behandelt werden.
Maßnahme 2026: Entkriminalisierung vorantreiben
Entkriminalisierung ist ein Thema, das Kompetenz-bedingt vordergründig im
Bundesrat verfolgt werden muss. Jedoch können wir auch in Berlin erste Schritte
gehen, um die Verfolgung von Bagatellkriminalität zu reduzieren. Dies ist vor
allem der Arbeitsfähig der Justiz zuträglich, da dieser somit mehr Ressourcen
für die Verfolgung anderer Delikte zur Verfügung stehen, wie der Verfolgung
schwerer Delikte, wie Wirtschaftskriminalität, organisierter Kriminalität und
Umweltstraftaten. Wegen Erschleichens von Leistungen, Diebstahl geringwertiger
Sachen und Drogenbesitzes werden jedes Jahr hunderttausende Verfahren geführt.
Auch dauern Verfahren durch die unnötige Belastung der Justiz mitunter zu lange,
sodass eine schnelle Reaktion auf Straftaten nicht immer erfolgen kann.
Kriminologische Forschungen zeigen aber, dass es gerade im Bereich der
Kriminalität von jungen Menschen essentiell ist, schnell auf strafbares
Verhalten zu reagieren, um zukünftige Straftaten zu verhindern. Eine
Strafverfolgung von Kleinstkriminalität kann dazu auch mittel- und langfristig
negative Auswirkungen haben. Die Betroffenen werden unnötig kriminalisiert und
eine strafrechtliche Verurteilung kann zu Verwerfungen im privaten und
beruflichen Umfeld führen. Dies kann soweit gehen, dass Menschen durch eine
strafrechtliche Verurteilung in ihrer beruflichen Perspektiveerheblich
eingeschränkt werden, wodurch die Wahrscheinlichkeit von weiteren Straftaten
steigt. Daher sollte hier eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit erfolgen. Dies ist
nicht nur weniger eingriffsintensiv, sondern ermöglicht auch eine schnellere
Reaktion, entlastet die Justiz und schließt diese Menschen weniger aus der
Gesellschaft aus.
Deshalb müssen wir prüfen, welches Verhalten wir überhaupt nicht mehr für
sanktionswidrig halten, wie z.B. das sog. "Containern" und wo es ausreicht,
strafwürdiges Verhalten als Ordnungswidrigkeit zu ahnden , wie beispielsweise
bei vielen Straftaten im Zusammenhang mit Versammlungen. Wir wollen uns im
Bundesrat dafür einsetzen, dass die entsprechenden Normen aus dem StGB bzw. dem
Nebenstrafrecht gestrichen werden. Ebenso wollen wir strafrechtliche
Überbleibsel wie die Tatbestände der Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung
oder Täuschung auf den Prüfstand stellen und auf ihre aktuelle Notwendigkeit
prüfen.
Menschen, die dauerhaft kein Entgelt bei der Nutzung des ÖPNV entrichten können,
ist nicht geholfen, wenn sie dafür bestraft werden, da die Ursache hierfür
meistens woanders liegt. Diese Delikte stehen häufig im Zusammenhang mit
psychischen Krankheiten oder Suchtkrankheiten oder Obdachlosigkeit. Diese
Menschen müssen durch kurzzeitige Inhaftierungen immer wieder Hilfsangebote
abbrechen (wodurch diese irgendwann vollständig beendet werden) und kosten das
Land Berlin jeden Tag ca. 100 € für den Haftplatz, belasten die
Strafvollzugsanstalten unnötig und werden immer wieder inhaftiert, ohne dass
während der kurzen Aufenthaltszeit im Gefängnis diesen Menschen zielführend
weitergeholfen werden kann.
Ein erster Schritt hierfür auf Landesebene wäre somit, Menschen mit
schwerwiegenden gesundheitlichen oder sozialen Problemen, die immer wieder wegen
Delikten, wie dem Erschleichen von Leistungen aufgrund fehlender ÖPNV-Tickets
inhaftiert werden, ein kostenfreies Monatsticket zur Verfügung zu stellen. Durch
die regelmäßige Ausgabe des Tickets durch die Stadt oder soziale Träger kann
zudem Kontakt zu den betroffenen Personen aufgebaut werden, um diesen nachhaltig
zu helfen.
Dabei werden wir uns an dem Stadtticket Extra in Bremen orientieren, das
Menschen, die immer wieder wegen dem Erschleichen von Leistungen inhaftiert
werden, zur Verfügung gestellt wird und dabei auf Berliner Besonderheiten
eingehen. Seit Einführung des Tickets hat das Land Bremen nicht nur Geld
gespart; die sozialen Träger haben seither endlich wieder Kontakt zu den
betroffenen Menschen und können ihnen helfen.
Wir setzen uns darüber hinaus für die ersatzlose Streichung des § 219a StGB
"Werbung für den Abruch der Schwangerschaft" ein. Die Neuregelung des
Tatbestandes löst keine Probleme, sondern schafft neue. Das wird nach der Reform
vom Februar 2019 immer deutlicher. Ungewollt schwangere Frauen brauchen
umfassenden und schnellen Zugang zu Informationen. Dies ist bis heute nicht
gewährleistet. Ärzt*innen dürfen jetzt öffentlich darauf hinweisen, dass sie
Abbrüche durchführen. Mit jeder weiteren Information – zum Beispiel mit welchen
Methoden die Abbrüche durchgeführt werden – setzen sie sich weiterhin dem Risiko
einer Strafverfolgung aus. Dass die Reform weder die Informationslage ungewollt
Schwangerer noch die Rechtssicherheit für Ärzt*innen verbessert hat, zeigen auch
die Verurteilungen der Berliner Ärztinnen Bettina Gaber und Verena Weyer und die
zuletzt erfolgte Verurteilung Kristina Hänels. Sie alle wurden nach der Reform
des § 219a StGB verurteilt.Statt dieses wackeligen und unklaren Kompromisses
fordern wir die Aufhebung des § 219a StGB und damit Rechtssicherheit für
Ärzt*innen und ausreichende Informationen für Frauen.
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